2014 - Baltikum - Aero Club Nürnberg

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Mittsommer Ausflug in den Norden

Gerade zieht eine Geisterhand die Mecklenburgische Seenplatte unter uns durch. Bei Waren verlassen wir den Müritzsee mit Kurs auf Rügen. In einer halben Stunde wollen wir dort landen. Wir, das sind Alfred und ich in einer Piper Archer III, sie hört auf NUP, sowie Jürgen und Wolf, ebenfalls in einer Piper Archer III mit dem klangvollen Namen NUE. In Nürnberg, unserem Heimatplatz, sind wir vor etwa zweieinhalb Stunde gestartet. Es ist gutes Fliegerwetter und soll wohl den ganzen Tag so bleiben.

Am Flugplatz Rügen landen wir im Abstand von fünf Minuten, tanken, geben die Flugpläne auf und stärken uns im Restaurant. Eigentlich checken wir die Maschine vor jedem Flug immer sehr genau. Aber vor einer längeren Wasserstrecke hat man das Gefühl, der Check wird noch penibler durchgeführt. Zu guter Letzt machen auch wir Piloten uns seewasserfest und starten mit dem Ziel Stockholm Skavsta.

Die ersten 15 Minuten betreut uns noch Bremen Information, danach Sweden Control. Unsere Route führt westlich an Bornholm vorbei nach Ronneby und weiter nach Kalmar. In diesem Teil der Ostsee herrscht reger Schiffsverkehr. Dann über dem Festland ist unter uns die meiste Zeit Wald, in dem Seen ganz unterschiedlicher Größe und Form eingebettet sind. Östlich der Insel Öland geht es an die Küste und an dieser entlang bis kurz vor Nyköping. Da ist auch Skavsta, Schwedens drittgrößter Verkehrsflughafen. Das merkt man auch, denn Kleinflugzeuge sind dort eigentlich Fremdkörper. Das Tanken klappt problemlos, schwieriger scheint dann das Parken. Letztendlich finden die Flugzeuge ihren Ruheplatz für die Nacht doch noch, gerade drei Flügelspannweiten neben der Tankstelle.

Warum Skavsta? Ganz einfach – wir hatten natürlich mit Stockholm Bromma geplant. Aber just zu der Zeit unseres Ausflugs erneuern die dort den Belag des Vorfeldes. Es gibt nur drei Parkpositionen. Zwei davon hatten wir für uns reservieren können. Dann aber erfuhren wir, dass wir keinen Zugang zu den AVGAS Tankstellen hätten. Deshalb Skavsta. Der Flugplatz liegt direkt am Stadtrand von Nyköping und unser Hotel dort an der Fußgängerzone. Auf unserem Abendspaziergang entlang des Flusses Nyköpingsan bis zu seiner Mündung in den Stadsfjarden kommen wir immer wieder an Manufakturen aus dem 19. Jahrhundert vorbei, die heute Restaurants und Büros beherbergen.

Die Wetterdaten am nächsten Tag bestätigen die Vorhersage. Wolken mit tiefer Basis und eingelagerten Schauern über der Ostsee. Das Zielgebiet um Tallinn ist aber CAVOK. Es wird insgesamt ein anstrengender Flug, der südlich von Nyköping hinaus an die Küste führt. Abwechselnd werden wir von Sweden Control und Stockholm Control betreut. Weiter geht’s mit Nordostkurs über den Schärengarten, östlich an Stockholm vorbei, um dann auf einen Ostkurs einzuschwenken. Man kann sich an den Schären in ihrer Vielfalt fast nicht satt sehen. Nach Stockholm, auf der Strecke zur finnischen Südwestecke, ist das Wetter gelinde gesagt richtig unfreundlich. Zwischenzeitlich sind wir bei Tampere Control, und nach weiteren 20 Minuten wird das Wetter schlagartig besser. Nun freuen wir uns auf die Ankunft in der ehemaligen Hansestadt Tallinn. Beim Anflug von Nordwesten kommt man über den Hafen und dann direkt an der Altstadt vorbei. Ein wahrer Genussflug.

Unser Hotel liegt am östlichen Rand der Altstadt. Vor dem Abendessen ist erst einmal Kultur angesagt. Dazu gehört der Schlossberg mit dem Schloss und der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Kathedrale genauso wie die mittelalterlich geprägte Altstadt mit dem Rathausplatz. Hier lassen wir den Tag ausklingen.

Das Wetter am nächsten Vormittag ist in Tallinn und auf der Strecke gut, aber Riga hat sich unter dichtem Seenebel versteckt. Nachmittags sind wir jedoch willkommen. So nutzen wir die Zeit für eine Erkundung des Hafens von Tallin, in dem gleich mehrere Fähren und zwei Kreuzfahrtschiffe liegen. Die vier Kilometer zum Flughafen könnte man fast laufen, aber ein Taxi ist doch die bessere Wahl. Eine knappe Stunde später nehmen wir die Etappe nach Riga unter die Flügel. Tallinn Control informiert uns, dass bei Rapla Fallschirmspringer abgesetzt
werden. Wenn wir auf 4500 ft stiegen, kämen wir uns nicht ins Gehege. Machen wir. Bald danach übernimmt uns Riga Control. Schon seit Parnu fliegen wir mit Südkurs entlang der Küste.

Unser Ziel ist nicht der internationale Flughafen von Riga, sondern der alte Flughafen Riga Spilve. Er ist wirklich ein Geheimtipp. Spilve liegt nur kappe drei NM östlich der Centerline von Riga. Aus dessen Kontrollzone ist ein Stück herausgetrennt, in dem man maximal 600 ft bzw. 1000 ft fliegen darf. Dazu gibt es ein genau geregeltes Anflugverfahren ab der Kontrollzonengrenze mit Funk Air to Air auf einer speziellen Frequenz. Der Platz ist PPR. Anfrage per Mail und Anruf vor dem Abflug. Vor den alten Hangars steht dann schon jemand, der uns die Parkpositionen zuweist.

Unser Flugplatz liegt ja schon in der Stadt. Deshalb ist die Fahrt zu unserem Hotel nur ein Katzensprung. Der frühe Abend ist der Stadtbesichtigung gewidmet. Die Altstadt ist berühmt für ihre Jugendstilbauten.

Markant am Marktplatz sind das Rathaus und das Schwarzhäupterhaus mit der Rolandstatue. Als Flieger interessieren wir uns aber auch für die ehemaligen Zeppelinhallen, die heute den Zentralmarkt beherbergen.

Der nächste Morgen sieht uns gleich nach dem Frühstück beim Wetterbriefing. Unser Ziel Kaunas und die Strecke dorthin liegen unter einem Schlechtwettergebiet mit sehr tiefer Bewölkung mit eingelagerten Gewittern. Ein absolutes No-Go für VFR-Flieger. Die Alternative heißt Palanga. Die Taxifahrt nach Spilve ist kurz. Jürgen gibt im dortigen Briefingraum telefonisch die Flugpläne auf und wird auf die strikte Einhaltung des Abflugverfahrens hingewiesen. Nach dem üblichen Vorflugprozedere geht es los. Rollen bis zur Halteposition auf Air to Air, umschalten auf Riga Tower, Squak und Clearance für den Durchflug durch die Kontrollzone einholen, zurück auf Air to Air mit der Info rollen in die Bahn und starten. Danach sofort wieder auf Riga Tower. Da ist schon der erste Meldepunkt „River“ eine knappe Minute nach dem Start. Nun fliegen wir entlang der Daugava an die Küste und daran weiter nach Südwesten zum Meldepunkt „Maori“. Wir queren so in zehn Minuten die Kontrollzone eines beachtlich ausgelasteten Verkehrsflughafens. Und das in 500 ft or below. Alfred, heute auf dem linken Platz, hüpft fast vor Freude. „Bist du schon jemals in 400 ft quer durch eine so frequentierte Kontrollzone gebrettert? - Legal!“

Nach dem Verlassen der Kontrollzone steigen wir noch über Wasser auf Reiseflughöhe, bevor Kurs nach Palanga gesetzt wird. Die Landschaft ist flach und typisch bäuerliches Kulturland. Riga Control übergibt uns an Palanga Approach. Wegen einer landenden Chartermaschine drehen wir eine Ehrenrunde im Holding, bevor es eine Landefreigabe gibt. Wir wollen die beiden Maschinen betankt haben. Die Handling Agentin organisiert das auch. Aber als nach etlichen Minuten ein Truck mit Jet A1 anrollt, glauben wir an ein Missverständnis. Nein, sagt die Agentin, alles okay. Der Riesentruck zieht einen kleinen Anhänger mit 500 Liter AVGAS hinterher. Den sieht man aber erst, wenn der Truck da ist. Den Rest des Tages verbringen wir in Kleipeda. Flanieren durch die Altstadt, besuchen das „Ännchen von Tharau“ am Theaterplatz und kehren ein in eines der Restaurants, die in den renovierten Speichern an der Dané entstanden sind.

Für die Etappe nach Bornholm gibt es Superwetter. Petrus weiß, er hat einiges an uns gut zu machen. Nach dem Start geht es auf Westkurs weit hinaus auf die Ostsee zum Meldepunkt NINTA, um den russischen Luftraum von Kaliningrad zu umfliegen. Von da können wir direkten Kurs nach Bornholm setzen.

Palanga Approach, Sweden Control und Bornholm Approach begleiten uns am Funk. Es ist reger Schiffsverkehr auf der Ostsee. Man fühlt sich überhaupt nicht einsam. Nach der Landung
bekommen die Maschinen Sprit, zum letzten Mal auf dieser Tour.

Uns bringt das Taxi ins Radisson Blu Fredensborg am Stadtrand von Rönne. Es ist ein sehr gemütliches Hotel, das für sein hervorragendes Fischbuffet jeden Donnerstag bekannt ist. Alle drei Fliegerkollegen schwärmen davon. Sie hatten vor drei Jahren das Vergnügen. Aber heute ist leider Sonntag. So steht zuerst Relaxen an und danach ein Spaziergang in die Innenstadt. Dort finden wir ein Restaurant für unser Abschiedsdinner.

Am nächsten Morgen scheint die Sonne vom blauen Himmel. Lediglich in der Gegend zwischen Peenemünde und Anklam sind noch Wolkenbänke mit einer Basis von 2500 ft, die sich aber auflösen. Also los geht’s mit Ziel Bienenfarm. Rönne Tower behält uns bis zur FIR Bremen. Als wir Peenemünde erreichen, gibt es nur noch einzelne kleine Wolkenfetzen, die überhaupt nicht stören. Bienenfarm ist ein Grasplatz, etwa 20 NM im Westnordwesten von Berlin. Problemloser Anflug, freundlicher Empfang, gute Küche – Flieger, was willst du mehr?

Auf der letzten Etappe heim nach Nürnberg gibt es reichlich Thermik. Jedes Segelfliegerherz macht da Freudensprünge. Wir ertragen es. Vor dem obligatorischen Abschlussbier werden noch die Flugzeuge versorgt. Unser gemeinsames Resümee: Es war ein sehr interessanter und fliegerisch anspruchsvoller Ausflug. Pro Maschine stehen etwa 17 Stunden im Bordbuch. Es war fast wie ein Synchronfliegen. Der Flugzeitunterschied zwischen den beiden Maschinen beträgt gerade einmal zwei Prozent.

Gerhard Obernosterer Fotos: Jürgen Weich, Gerhard Obernosterer

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